Aufbrüche und Vertrauen

Predigt zu Gen 12, 1 am 17. Juli 2022

Liebe Gemeinde,

Anna Krjulowa ist 72 und wohnt im 9.Stock eines Hochhauses in Charkiw in der Ukraine. Sie will ihre Wohnung nicht verlassen, obwohl in der Region heftiger Artillerie Beschuss tobt. Dagegen sind viele Frauen mit ihren Kindern in sicherere Gebiete im Westen des Landes gezogen oder gar in Nachbarländer geflüchtet wie auch zu uns nach Deutschland. Doch inzwischen gibt es auch wieder viele, die zurückkehren, denn die Ukraine ist ihre Heimat und die verlässt man nicht so gern. Umso erstaunlicher ist, was wir in unserem heutigen Predigttext hören:

LESUNG

Und der HERR sprach zu Abram: Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will. 2 Und ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen und dir einen großen Namen machen, und du sollst ein Segen sein. 3 Ich will segnen, die dich segnen, und verfluchen, die dich verfluchen; und in dir sollen gesegnet werden alle Geschlechter auf Erden. 4 Da zog Abram aus, wie der HERR zu ihm gesagt hatte, und Lot zog mit ihm. Abram aber war fünfundsiebzig Jahre alt, als er aus Haran zog.

Liebe Gemeinde,

Für manche Konfirmanden/innen und vor allem für die Abiturienten und jungen Erwachsenen klingt es noch verlockend, wenn einem gesagt wird: zieh aus dem Elternhaus aus, geh in die weite Welt und lass dich dort irgendwo nieder und gründe eine Familie. Aber wir müssen bei dieser Geschichte bedenken, dass Abraham schon 75 Jahre alt ist. Und einen alten Baum, sagt das Sprichwort, verpflanzt man nicht. Im Alter sind wir nicht mehr so flexibel und mobil. Da haben wir uns eben meist eingerichtet.

Das ist zum einen ganz wörtlich zu verstehen: da ist die Wohnung oder das Haus voll bis unters Dach. Natürlich ist es auch übertragen zu verstehen: Wir haben uns etabliert; wir kennen die Nachbarn und haben uns arrangiert; wir haben einen Freundeskreis; wir schätzen die vertrauten Wege zum Einkaufen, zur Arbeit, zum Arzt, wir sind gern gesehen und werden eingeladen zum Grillen, zu Geburtstagsfeiern, zum Fußballabend; wir gehen auf die Kirchweih; wir sind in einem Verein engagiert und damit sind wir meist sehr zufrieden.

Das ist wie mit einem alten Schuh. Es ist wie mit diesem Schuh von mir: der ist schon ziemlich ramponiert und eigentlich zum Wegwerfen in die Mülltonne. Aber ich kann mich schlecht davon trennen und zieh ihn doch noch ab und zu an, denn er ist so schön „eingelaufen“. Ich weiß nicht, ob sie das nachvollziehen können. Man schlüpft rein und fühlt sich wohl. Während bei neuen Schuhen am Anfang eben oft vorkommt, dass noch was drückt oder das Abrollen noch etwas steif ist und man nicht ganz sicher ist, ob es auch Lieblingsschuhe werden. Und so ist es halt mit unserem ganzen Leben, an das wir uns gewöhnt haben, das uns zur Heimat geworden ist und das wir deshalb ungern aufgeben.

Die Aufforderung: Geh aus deinem Vaterland und deiner Verwandtschaft usw. ist eine Zumutung – nicht nur für Abraham. Das wäre sie auch für uns. Denn wer weg geht, muss etwas zurücklassen, muss los lassen.

Die Psychologin Verena Kast schreibt: "Ich gehe davon aus, dass wir Menschen eher die Tendenz haben festzuhalten, dass wir Mühe haben, das Leben in die Veränderung hinein freizugeben … Wir halten fest an unseren Ideen, unseren Vorstellungen von uns selbst, unseren Anforderungen und unseren Beziehungen usw."

Deshalb geschieht Loslassen oft nicht freiwillig. Manche Eltern tun sich schwer ihre Kinder los zu lassen, die selbständig werden wollen. Menschen, die mit ihrer Arbeit verwachsen sind, fällt es schwer ihren Beruf los zu lassen und in den Ruhestand zu treten. Ältere Menschen, die nicht mehr allein leben können, fällt es schwer in ein Altersheim zu wechseln. Es gibt auch noch ältere Menschen unter uns, die haben erlebt, dass sie aus ihrer Heimat nach dem 2. Weltkrieg vertrieben wurden und alles zurücklassen mussten – wobei das heute ja noch etlichen genauso geht und viele davon in Zirndorf ankommen.

Verena Kast schreibt weiter: „Die bange Frage stellt sich, was nachkommen wird. Die Angst ist die Furcht, dass … wir uns mit dem neuen nicht wohlfühlen“. Deshalb ist loslassen und ins Unbekannte aufzubrechen eine Zumutung. Und wir meistern diese Zumutung nur, wenn wir Vertrauen haben oder Glauben haben. Deshalb ist diese Geschichte eine Glaubensgeschichte und Abraham ein Vorbild im Glauben.

Abraham bricht auf, ohne zu wissen wohin es geht, ohne Rückfahrkarte. Er lässt alle Sicherheiten und alles, was er sich erarbeitet hat, hinter sich und wird heimatlos. Er wird ein Fremdling, ein Ausländer auf seiner Wanderschaft.
Was das bedeutet haben viele Übersiedler aus den ehemaligen Sowjetrepubliken, Siebenbürger, Flüchtlinge und Asylsuchende aus aller Welt erfahren müssen. Sie sind eben nicht immer willkommen oder nur anfangs willkommen gewesen. Sie geraten in die Mühlen der Bürokratie. Sie bekommen erst mal nur Jobs, die niemand gern haben will. Sie spüren, dass man in einen anderen Kulturkreis wechselt. Sie vermissen die Wurstspezialitäten oder Backzutaten. Und sie merken, dass sie auch nicht ohne weiteres an die gewohnte Glaubens- und Frömmigkeitspraxis anknüpfen können. Dabei muss man gar nicht von sehr weit her kommen, sondern schon ein Umzug innerhalb Bayerns kann ein Vorgeschmack sein vom großen Wagnis, das manche auf sich nehmen.

Man wechselt eben nicht einfach so von einer Heimat in die nächste. Das gilt für alle Aufbrüche, Umzüge und vergleichbar auch fürs Umdenken. Sie sind eine Zumutung, eine Belastung, Stressfaktor, weil sie uns zurückwerfen auf uns selber. Wir haben eben dann nicht mehr die stabilen Gewohnheiten und Verhältnisse, haben nicht mehr das Netz von Beziehungen, das uns auffangen kann.

Und deshalb sind der Aufbruch Abrahams und unsere Aufbrüche immer eine Vertrauens- und Glaubensangelegenheit. Denn wenn wir alles zurücklassen müssen, was uns von außen bestimmt hat und getragen hat, spüren wir nur noch das, was uns im Inneren trägt und Halt gibt. Und da hat Abraham anscheinend viele gute Erfahrungen mit Gott gemacht, der ihm eine Stütze geworden ist in manchen Krisen. Und so hat er ein großes Vertrauen in Gott, dass der ihn hilft auf seiner Wanderschaft.

Natürlich dürfen wir auch nicht übersehen, dass über diesem Aufbruch eine große Verheißung liegt. Abraham darf sich vom Aufbruch etwas versprechen. Ein neues Land, in dem seine Familie wächst und groß wird. Freilich geschieht das nicht von heute auf morgen. Sondern nur Schritt für Schritt. Da gibt es Umwege, Durststrecken oder Konflikte zu bestehen. Wir können im weiteren Verlauf Abraham auch zweifelnd und klagend erleben. Am Ende sieht Abraham nur eine winzige Erfüllung der Verheißung: Er kauft ein kleines Stück Land und er hat noch in hohem Alter einen Sohn bekommen. Das - so sagt es die Bibel - ist aber der Beginn des Volkes Israel.

So abenteuerlich und so klein hat es angefangen und doch sind die Segensspuren Gottes darin zu finden. Und auch die andere Zusage Gottes bewahrheitet sich, dass Abraham zum Segen für andere wird. Er rettet seinem Neffen Lot das Leben und heilt durchs Gebet König Abimelech. Auch als Nomade ohne Reichtum und ohne Amt und Würden kann er Gutes bewirken.

Nun kann sich in der Geschichte Abrahams, jeder und jede selber entdecken. Doch ich meine, dass die Geschichte Abrahams auch eine Geschichte für unsere Kirche ist. Auch als Kirche sind wir immer wieder von Gott gerufen uns zu verändern. In den nächsten Jahren stehen uns große Veränderungsprozesse bevor, auch in Oberasbach und in St. Markus. Und wird auch die Frage sein, ob wir lieb gewonnene Gewohnheiten hinter uns lassen können, ob wir los lassen können und dabei nicht wissen, wo die Reise genau hingeht. Man hat sich 50 Jahre hier eingerichtet – jedenfalls selbständig entwickelt – eine Kirche gebaut, das Pfarrhaus und ein neues Gemeindehaus und Kindergarten; hat einen Weltladen und die Altenberger Bühne und das Filmteam und Konzerte.

Doch wir wissen: die Kirche verliert immer mehr Privilegien wie Steuerbefreiungen, hat ein Nachwuchsproblem und muss überlegen, welche Gebäude noch erhalten werden können. Und deshalb wird es so sein, dass sich die Gemeinde öffnen muss und Aufgaben neu verteilt werden. Der Weltladen könnte der erste Bereich sein, weil wir überlegen, dass er sich mit dem Verein in Oberweihersbuch zusammenschließt. Solche Schritte sind nicht leicht. Doch dadurch könnte es weiter gehen und wäre es nicht das Ende, sondern eine Zukunft, in der wir uns von Gott geführt wissen und auf ihn vertrauen.

Pfr. Berthold Kreile