Predigt am Sonntag 2. August 2020 über Joh 9, 1-7
VORWORT
Liebe Gemeinde.
Wir Menschen suchen gern Schuldige! Wenn etwas schief geht, gibt es zu Hause oft ein Donnerwetter, einen Rüffel oder es rollen in Firmen und in der Politik die Köpfe. Selbst bei gesellschaftlichen oder Natur-Phänomenen wird nach Schuldigen gesucht. Kein Wunder, wenn deshalb bei der gegenwärtigen Corona-Pandemie auch Schuldige und Verantwortliche gesucht werden. So glauben manche Leute, dass Bill Gates für die Verbreitung des Virus verantwortlich ist, weil er bereits ein Patent auf einen Impfstoff hat und die Bevölkerung zwangsweise impfen lassen will, vielleicht dabei sogar noch einen Chip einpflanzt. Andere meinen, das Virus wurde in Wuhan als Biokampfstoff entwickelt, der ausgebüxt ist. Das sind nur zwei der verrücktesten Verschwörungstheorien rund um Corona. Davon abgesehen liegt es schon in unserer Natur, dass wir einfach immer nach Ursachen und Erklärungen suchen. Alles muss erklärbar sein. Und das ist auch der Auslöser für unseren heutigen Predigttext.
LESUNG
Und Jesus ging vorüber und sah einen Menschen, der blind geboren war. Und seine Jünger fragten ihn und sprachen: Rabbi, wer hat gesündigt, dieser oder seine Eltern, dass er blind geboren ist? Jesus antwortete: Es hat weder dieser gesündigt noch seine Eltern, sondern es sollen die Werke Gottes offenbar werden an ihm. Wir müssen die Werke dessen wirken, der mich gesandt hat, solange es Tag ist; es kommt die Nacht, da niemand wirken kann. Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt. Als er das gesagt hatte, spuckte er auf die Erde, machte daraus einen Brei und strich den Brei auf die Augen des Blinden und sprach zu ihm: Geh zu dem Teich Siloah – das heißt übersetzt: gesandt – und wasche dich! Da ging er hin und wusch sich und kam sehend wieder.
PREDIGT
Noch im Mittelalter, erst recht in der Antike hat man bei Krankheiten nach Schuldigen gesucht. Oder anders gesagt: lange Zeit wurde Krankheit oft als Strafe für eine Sünde angesehen, also war man selber irgendwie schuld. Wobei man sagen muss, dass selbst heutzutage, diese Ansicht noch vertreten wird. Ich kann mich noch dunkel erinnern, dass jemand über einen jungen Mann, der nach einem Badeunfall querschnittgelähmt war, gesagt hat, dass dies eben die Strafe für Alkoholgenuss und Party machen ist. Doch warum dann dieser und nicht andere?
Auch schon die Jünger Jesu haben bei dieser Deutung ein Problem erkannt. Was ist mit einem, der blind geboren wurde? Der kann ja selber gar nichts dafür. Der hatte ja in seinem Leben gar keine Gelegenheit etwas falsch zu machen. Da passt das Modell von Strafe und Krankheit eigentlich nicht mehr. Außer man würde davon ausgehen, dass kein direkter Zusammenhang von Sünde und Krankheit besteht, sondern dass es sogar einen generationen-übergreifenden Zusammenhang gibt. Also dass eben dann vielleicht die Eltern schuld sind, dass ihr Sohn blind geboren wurde. Doch man merkt den Jüngern an, dass sie da selber unsicher sind. Passt das zu Gott? Wäre das nicht ungerecht?
Jesus wischt jedenfalls all diese Theorien vom Tisch. Es gibt keinen Zusammenhang von Sünde und Krankheit. Und dass gar seine Eltern schuld sein sollen ist erst recht großer Quatsch. Jesus will keinen Schuldigen suchen. In anderen Heilungsgeschichten löst er das damit, dass er den Kranken sagt: Dir sind diene Sünden vergeben. In unseren Fall geht er einen anderen Weg. In seiner Antwort an die Jünger fordert er sie auf, nicht weiter an den Ursachen zu forschen, die die Situation des Blinden ja nur bestätigen, sondern weiter zu sehen, eine Veränderung der Situation herbeizuführen.
Anders gesagt, für Jesus ist diese Begegnung mit dem Blindgeborenen eine Gelegenheit, um die Macht Gottes zu demonstrieren, um die Möglichkeit von Wundern zu zeigen. Und statt über Sünden und Fehler der Vergangenheit zu spekulieren, geht es für Jesus darum, dass er im Namen Gottes mehr Licht in die Welt bringt, einen Ausweg zeigt und Menschen nicht im Dunkeln tappen müssen.
Das ist natürlich sehr doppeldeutig ausgedrückt, wenn Jesus vom Licht spricht, welches er in die Welt bringt. Für den Blinden heißt das zunächst: Er wird von Jesus behandelt. Das erscheint zunächst als eine eher eklige Angelegenheit mit Spucke und Sand. Aber ich erinnere mich noch, dass meine Eltern als ich Kind war, auch öfter mal Spucke benutzt haben, als ich hingefallen bin und mich aufgeschürft habe oder als mich mal eine Biene gestochen hat. Inzwischen haben Wissenschaftler herausgefunden, dass Spucke keimtötend ist und die Wundheilung beschleunigt. Damit Blindheit zu kurieren ist eher unwahrscheinlich.
Aber es geht ja in diesem Fall um das Unwahrscheinliche, um das Wunder. Es gibt ja immer wieder Heilungen, die man nicht für möglich gehalten hätte. Die Spucke allein macht es auch nicht, sondern der Blinde soll sich auch noch waschen oder besser gesagt, die Augen reiben. Und siehe da. Er kann wieder sehen.
Doch dieses Sehen beschränkt sich nicht darauf, dass er nun Farben, Gegenstände, Häuser und Natur wahrnimmt. Das ist nur das vordergründige Sehen. Es gibt noch eine andere Art von Sehen: den Durchblick, den Überblick oder die Einsicht u. ä.
Darum geht es im Folgenden, denn die Geschichte hat noch ein Nachspiel, welches nicht vorgelesen wurde (es sind 41 Verse!). Zunächst bemerken Nachbarn, dass der Blinde nicht mehr an seinen gewohnten Platz sitzt und quetschen ihn aus, was denn nun geschehen ist. Davon bekommen Pharisäer Wind und wittern, dass es nicht mit rechten Dingen zugegangen ist. Die einen haben den Verdacht, dass Jesus am Sabbat gearbeitet hat, wenn er mit Spucke hantiert. Andere sind nicht im Klaren, was sie von Jesu Kunst halten sollen und fragen den Blinden dazu. Er meint, dieser Mensch muss ein Prophet sein.
Nun geht die Sache aber noch weiter. Die Pharisäer lassen es nicht auf sich beruhen und wenden sich an die Eltern und lassen sich bestätigen, dass ihr Sohn geheilt wurde. Die wiederum wimmeln ab, dass ihr Sohn alt genug sei, um weitere Fragen zu beantworten. Dann wird dieser nochmals verhört und unter Druck gesetzt, gegen Jesus auszusagen. Aber er lässt sich nicht hinters Licht führen. Als er Jesus danach nochmals begegnet, fragt dieser ihn: Glaubst du an den Menschensohn. Der Geheilte antwortet: Wer ist es, dass ich daran glaube? Jesus sagt: Du hast ihn gesehen, der mit dir redet, ist es. Der Geheilte: ich glaube.
Darauf läuft die ganze Geschichte hinaus: Der Geheilte kann nicht nur Bäume, Menschen und Gegenstände sehen, sondern er erkennt auch wer Jesus ist, nämlich der von Gott gesandte Heiland.
Der Blindgeborene ist in umfassenden, doppelten Sinn geheilt. Er hat auch den Durchblick. Er erfährt oder sieht auch, welches Wunder da mit ihm geschehen ist. Wunder muss man auch sehen lernen. Nicht immer sind sie so offensichtlich, wie in dieser Geschichte. Manche Wunder sind viel alltäglicher, z.B. dass alle Konfis im Unterricht einen Stift dabei haben. Und in unserem Predigttext sind es die Pharisäer, die das Wunder eben auch nicht sehen können, die eigentlich blind sind. Zunächst zweifeln sie, dass der Blinde geheilt wurde, dann schauen sie nur darauf, ob etwas falsch gemacht wurde und schließlich können sie nicht akzeptieren, dass Jesus eine besondere Verbindung zu Gott hat. Also gerade die, die besonders helle im Kopf sind und die mit Argusaugen über andere wachen, erweisen sich als blind für das Wesentliche und für das Wesen Jesu. Das kann uns natürlich genauso gehen. Wir sind manchmal nicht besser als die Pharisäer. Wir haben oft auch so Brillen auf, mit denen wir auf bestimmte Dinge fixiert sind und anderes ausblenden.
Dagegen wird in unserem Predigttext der Glaube als neues Sehen verstanden, als tieferes Sehen, das in unserer Welt auch Gott entdeckt und erkennt. Wir sehen dann nicht nur die Schönheit der Natur, sondern die Schöpfung Gottes. Wir sehen im Nächsten in erster Linie ein Ebenbild Gottes und nicht einen Konkurrenten. Wir sehen uns nicht als Götter und Halbgötter, sondern als Diener Gottes. Und ich entnehme unseren Predigttext, dass es mit dem glauben heller im Leben wird, wir mehr das Licht als den Schatten sehen. Ich gebe zu, dass ich da auch öfter einen blinden Fleck im Leben habe. Denn ich bin eher ein Schwarzseher. Wenn ich beispielsweise an den letzten Sonntag denke, dann ärgert mich, dass es geregnet hat und wir umsonst Stühle im Hof aufgebaut haben, dass wir dadurch nicht mehr Leute in den Gottes dienst gelockt haben wie sonst usw. Aber wenn ich als Glaubender darauf sehe, dann muss ich sagen, dass wir einen schönen Abschiedsgottesdienst gefeiert haben, dass der Geist Gottes spürbar mitten unter uns war. Und das ist doch das Entscheidende.
Und deshalb wünsche ich, dass Sie Sehende werden, wo sie bisher einen blinden Fleck haben und dass Sie die Wunder sehen können, die täglich passieren und eben auch sehen, dass Gott hier mitten unter uns wirkt.
Pfr. Berthold Kreile