Predigt zum Sonntag Exaudi am 24. Mai 2020
Lesung: Jer 31, 31-34
Liebe Gemeinde,
„Siehe es kommt die Zeit…“ – so beginnt das Gotteswort, das Jeremia verkündet. Es kommt die Zeit bedeutet: es geht um die Zukunft.
Wenn heute jemand mit diesen Worten beginnen würde, hätten wir wahrscheinlich sofort den Gedanken: kommt endlich bald die Zeit nach Corona, Zeiten wie früher, normale Zeiten. Wir möchten mal wieder ohne Mundschutz einkaufen oder in den Gottesdienst gehen; wir freuen uns jetzt schon, dass man wieder Verwandte besuchen kann und die Biergärten öffnen; und wünschen uns die Tage, wo wir wieder große Feste feiern können: runde Geburtstage, Hochzeiten, Muttertag und wo wir wieder auf die Kerwa oder aufs Volksfest gehen können oder in ein Kino oder nach Italien in den Urlaub fahren. Der ganze Spuk mit Corona soll möglichst bald vorbei sein.
Doch viele sagen ja: Es wird nach Corona nicht mehr so sein wie vorher. Wer weiß wie lange wir das das Händeschütteln vermeiden und noch den Mundschutz in Geschäften oder in der U-Bahn tragen, und lieber bargeldlos zahlen? Bestimmte Geschäfte werden aus dem Straßenbild verschwinden. Doch die Krise kann auch positive Auswirkungen haben und uns verändern: wir bleiben fürsorglicher und schauen mehr auf die Nöte und Bedürfnisse anderer, oder schätzen wieder mehr ideelle Güter wie Freiheit, Gesundheit, Bildung und Kultur anstatt den materiellen Dingen nachzujagen und Wachstum und Konsum über alles zu stellen. Vielleicht hat uns die Entschleunigung gezeigt, dass wir mehr Ruhezeiten brauchen und nehmen müssen. Vielleicht ist ein weiter-so als sei nichts gewesen auch gar nicht richtig.
Auch wenn Israel zur Zeit Jeremias von keiner Pandemie betroffen war, war es auch eine Krisenzeit. Von außen wurde der kleine Staat bedroht und im Innern griff eine moralische Verwahrlosung um sich. Eine Katastrophe zeichnete sich ab. Trotzdem wollte man weiter wursteln wie immer. Da meldet sich Gott mit den Worten „siehe es kommt die Zeit“ und zeigt einen Ausweg. Die Krise kann gemeistert werden, wenn sich etwas grundlegend verändert. Es geht darum, dass sich die Beziehung zu Gott verändern muss. Die Verbindung zu Gott, der Bund zwischen Gott und Mensch, zwischen Gott und seinem Volk braucht eine neue Ausrichtung. Gott hatte sein Volk aus der Sklaverei in Ägypten befreit und am Berg Sinai einen Bund geschlossen. Mose überbrachte die 10 Gebote. Es folgten weitere Bestimmungen. Es entwickelte sich ein gottesdienstliches Leben, in der Wüste zunächst mit der Stiftshütte und der Bundeslade, in der die Tafeln der 10 Gebote aufbewahrt wurden. Später baute man in Jerusalem ein großes Heiligtum für Bundeslade. Es entwickelten sich religiöse Feste und wer gesündigt hatte, musste ein Opfer bringen, um Gott gnädig zu stimmen. Das hat sich eingespielt und ist zur Routine geworden.
Einiges davon, ist ja bei uns ähnlich; gibt es Kirchen, Gottesdienste, Feste usw.
Doch reicht das? Ist das Gott genug, wenn man die Feiertage begeht und die 10 Gebote achtet und versucht, sie einzuhalten. Ist es genug, wenn man seine Fehler mit einem Opfer wieder ausbügelt? Im Wort des Profeten Jeremia findet Gott, dass ihm das zu oberflächlich ist. Es braucht einen neuen Bund, eine neue intensivere Verbindung. Gott will von uns ganz Besitz ergreifen, in unsrem Innersten Platz finden. Er will sein Gesetz, seine Weisungen in unser Herz legen. Im Hebräischen ist das Herz nicht das Zentrum der Gefühle, sondern des Denkens und Planens. Gott will also vor allem, dass wir seinen Willen begreifen und umsetzen, aus innerer Überzeugung. Wenn uns Gott so nah kommt und in uns einen Platz hat, leben wir in Übereinstimmung mit Gott und können damit der Krise begegnen und getrost in die Zukunft gehen.
Bewusst habe ich statt von den Israeliten zu sprechen die Worte „wir und uns“ gewählt, weil es für mich auch ein Wort Gottes in unserer Corona-Krise ist, zumindest für unsere Kirche in der Krise. Denn auf einmal wurde uns alles aus der Hand geschlagen, was eine Gemeinde ausmacht und was auch meist unsren Glauben ausmacht: wir konnten keine Gottesdienste mehr feiern, der Besuchs-dienst musste seinen Dienst einstellen, die Gruppen und Chöre durften sich nicht mehr treffen. Die ganze oberflächliche Verbindung zu Gott, die über Gottesdienst, Gemeinschaft und Feste feiern verknüpft war, ist plötzlich weggebrochen. Und ich habe selber gemerkt, wie diese Art der Verbindung zu Gott meinen Glauben geprägt und bestimmt hat. Aber es zählte eben nicht mehr und so war mein Glauben auch in einer Krise. Was dann noch zählte als der lock down kam, war der neue Bund Gottes, also was Gott in mein Herz gelegt hat, was mich im Innersten verbindet, was nicht von Äußerlichkeiten abhängt. Als ich das zum ersten Mal gespürt habe, bin ich erschrocken, weil ich da so wenig entdeckt habe. Ich habe gemerkt, wie mein Glaube orientiert war an den Aufgaben mit Gottesdienst, Besuchen, geistlichen Impulsen und Organisation. Doch mit der Zeit habe ich zum Glück mehr entdecken können. Ich habe verspürt wie mein Herz neugierig geblieben ist auf Gott. Ich habe theologische Bücher in die Hand genommen, die seit den Tagen des Studiums etwas Staub angesetzt haben. Und ich habe in mir ein Vertrauen gespürt, dass Gott mich und diese Gemeinde durch das dunkle Tal der Corona-Krise führt, selbst wenn das Virus nach uns greift. Und ich habe gemerkt, dass Gott mich mit anderen Menschen in der Gemeinde verbindet, die ich nicht sehen und treffen kann.
Auch wenn ich und wir uns darüber freuen, dass Gottesdienste wieder möglich sind, hatte der lock down vielleicht was Gutes: wir konnten feststellen, dass es nicht nur eine Verbindung zu Gott gibt, dass Gott nicht nur in Kirche und Gemeinschaft erfahrbar ist, sondern auch unmittelbar in uns drin Wohnung genommen hat. Denn ich bin sicher: Selbst wenn wir Gottesdienste und Kreise (KU) und den Austausch mit anderen vermisst haben, werden Sie alle entdeckt haben, wie ihr Glaube noch anders gegründet ist und wie Gott in Ihnen Wurzeln geschlagen hat. Weil Gott immer auch an diesem neuen Bund, dieser intensiven inneren Verbindung knüpft, ist mir nicht bange, wenn die Einschränkungen unseres Gemeindelebens noch andauern oder es gar nochmals zu einem lock down kommt. Es muss nicht alles sein, wie früher und vor der Krise. Gott findet schon einen Weg zu uns, zu unserem Herzen.
Pfr. Berthold Kreile