Gegenseitige Achtung und Respekt
Liebe Gemeinde.
Zum Theologiestudium gehört neben den Fächern AT, NT, Dogmatik natürlich auch das Fachgebiet Seelsorge, also wie man mit Menschen und ihren Problemen gut umgeht. Und zu den Vorlesungen kann man bestimmte Fachbücher lesen wie hier das Handbuch der Seelsorge oder wie hier ein Übungsbuch zur klientenzentrierten Gesprächsführung, in dem es um Verbalisierung emotionaler Erlebnisinhalte.
In der frühen christlichen Gemeinde gab es freilich noch kein Theologiestudium und noch keine Seelsorgeausbildung. Aber der Apostel Paulus hat auch schon eine Art Anleitung für die Seelsorge geschrieben in seinem Brief an die Römer. Und das bedeutet, sie brauchen kein Fachbuch lesen, sondern haben das in sehr kurzer und knapper Form auch in unserem heutigen Predigttext:
LESUNG
Die Liebe soll echt sein, nicht geheuchelt. Verabscheut das Böse, haltet euch unbeirrbar an das Gute. Lasst im Umgang miteinander Herzlichkeit und geschwisterliche Liebe zum Ausdruck kommen. Übertrefft euch gegenseitig darin, einander Achtung zu erweisen. Lasst in eurem Eifer nicht nach, sondern lasst das Feuer des Heiligen Geistes in euch immer stärker werden. Dient dem Herrn. Freut euch über die Hoffnung, die ihr habt. Wenn Nöte kommen, haltet durch. Lasst euch durch nichts vom Gebet abbringen. Helft Gläubigen, die sich in einer Notlage befinden; lasst sie mit ihrer Not nicht allein. Macht es euch zur Aufgabe, gastfreundlich zu sein. Segnet die, die euch verfolgen; segnet sie, verflucht sie nicht. Freut euch mit denen, die sich freuen; weint mit denen, die weinen. Lasst euch im Umgang miteinander davon bestimmen, dass ihr ein gemeinsames Ziel habt. Seid nicht überheblich, sondern sucht die Gemeinschaft mit denen, die unscheinbar und unbedeutend sind. Haltet euch nicht selbst für klug.
Predigt
Liebe Gemeinde.
Ich gehe nochmals einige Ratschläge des Paulus durch.
„Übertrefft euch gegenseitig darin, einander Achtung zu erweisen.“ Eine ganz wesentliche Grundhaltung anderen Menschen gegenüber, ist also der Respekt, den man andern entgegenbringt. Und das nicht nur bei bestimmten Respektspersonen, die z.B. ein Amt bekleiden. Früher in der Generation meiner Eltern oder Großeltern galten der Bürgermeister, der Pfarrer, Lehrer und Lehrerin als besonders einflussreich und mächtig – gerade in einem Dorf – und ist ihnen deshalb oft mit besonderer Ehrerbietung begegnet. Aber es sind auch nur Menschen wie wir und verdienen nicht mehr Respekt. Allerdings schlägt es heutzutage fast ins Gegenteil um, wenn Polizisten, Rettungskräfte oder auch Politiker angegriffen werden, wenn sie ihren Dienst tun. Trotzdem würden die meisten von uns sagen: das ist doch nicht schwer, allen gegenüber Respekt zu zeigen; das ist doch selbstverständlich. Aber so leicht ist es doch nicht immer. Manche von Ihnen wissen schon, dass ich eine Zeitlang auch Seelsorger in der JVA in Schweinfurt gewesen bin. Da habe ich dann regelmäßig einmal pro Woche oder 14-Tägig eine Besuchszeit angeboten und Gespräche geführt. Nun sind in so einer JVA alle möglichen Leute und haben alle irgendwas ausgefressen. Da sind welche, die gerade kurz vorm Winter den Whisky aus dem Supermarkt klauen und dann paar Monate einsitzen, was sie erreichen wollten, weil sie dann im warmen sind und ein Dach überm Kopf haben, also eigentlich arme Schlucker. Dann sind solche, die ein Taxifahrerin mit dem Messer bedroht haben und das Geld abgenommen haben. Natürlich sind auch Mörder bzw. welche mit Tötungsdelikt dabei oder auch solche mit Sexualdelikten, die Frauen vergewaltigt haben oder gar Kinder missbraucht haben. Das halten wir alle für ziemlich verabscheuungswürdig, aber ich finde, dass man selbst so jemand mit einem Respekt entgegentreten muss und ihn nicht wie den letzten Dreck behandelt. Das bedeutet ja nicht, dass man diese Taten toleriert und gut findet, aber im Umgang miteinander muss man sehen, dass da ein Mensch vor einem sitzt.
Gut, in solch extremen Situationen kann es sein, dass man mit dem Respekt und der Achtung an seine Grenzen kommt und nicht mehr vorurteilsfrei jemand begegnen kann. Dann muss man das auch nicht anderen vorspielen.
Das ist nämlich das nächste, was Paulus seiner Gemeinde empfiehlt: „Die Liebe soll echt sein, nicht geheuchelt.“ Das ist das, was man in der Seelsorge als Selbstkongruenz oder Authentizität bezeichnet. Wir sollen uns also nicht verbiegen und dürfen anderen durchaus sagen, was uns missfällt oder welche negativen Gefühle jemand bei uns auslöst. Respekt und Achtung bedeutet nicht, dass man schön tut und reizend und nett ist und hinterher und hintenherum dann über andere lästert. Wie schnell ertappen wir uns beim Lästern? Wir haben das auf der Konfifreizeit festgestellt, dass das leider sehr verbreitet ist und die Konfis haben vorgeschlagen, dass man es sich bewusst macht und dann „Stopp - Aufhören“ sagt, damit es nicht endlos weiter geht.
Denn wie sagt Paulus weiter: Verabscheut das Böse, haltet euch unbeirrbar an das Gute. Und das bedeutet nicht nur, dass wir immer versuchen selber Gutes zu tun, sondern heißt auch, dass wir versuchen in anderen das Gute zu entdecken. Und selbst wenn es uns manche Menschen schwer machen, haben sie vielleicht einen guten Kern. Jesus konnte den bei anderen sehen. Das wird an der Begegnung mit Zachäus deutlich. Jesus sieht in ihm nicht nur den verrufenen Zöllner und Ausbeuter, nicht den Römerfreund und Sünder, sondern einen guten Kern, der für Gott und Religion offen ist und der bereit ist sein Leben zu ändern. Und so geht er auf Zachäus zu. Und nimmt ihn an.
Und nun kommen wir zu zentralen Dingen in der Seelsorge. Paulus schreibt: „Lasst im Umgang miteinander Herzlichkeit und geschwisterliche Liebe zum Ausdruck kommen.“ Das Wort Liebe könnte auf eine falsche Fährte lenken, denn wir müssen es als Nächstenliebe verstehen, als Hilfsbereitschaft. Was wir ausstrahlen sollten, ist zunächst Wertschätzung und warme Anteilnahme. So wird es in der Sprache der Seelsorge beschrieben. Gemeint ist damit, dass wir aufmerksam sind, ganz Ohr und nicht abgelenkt und mit unseren Gedanken woanders sind. Wir öffnen unser Herz für die Anliegen, Schwierigkeiten oder Gefühle unseres Gegenübers. Wir zeigen anderen, dass wir verstanden haben, was ihn/sie bewegt und umtreibt. In der Seelsorge nennt man das „spiegeln bzw. widerspiegeln“. Und manchmal kommt unser Gesprächspartner dann dadurch einen Schritt weiter.
Das Wort Herzlichkeit oder das Herz öffnen zeigt jedenfalls an, dass es wichtig ist, dass wir im Umgang mit anderen nicht nur eine freundliche Unterhaltung führen, sondern manchmal bis zur Gefühlsebene vordringen und Emotionen zulassen, und manchmal mit Gesten mehr sagen als mit Worten, wenn wir jemand in den Arm nehmen, der es schwer hat. Paulus beschreibt das in dem Satz: „Freut euch mit denen, die sich freuen; weint mit denen, die weinen.“ Also eben die Gefühle des andern aufnehmen und verstehen und zulassen. Und die Gefühle nicht etwa abzutun mit irgendwelchen Vergleichen wie: Denk nur wie schlecht es den Familien in Afrika geht. Oder sie herunterspielen mit den Worten: Es gibt schlimmeres. Kopf hoch. Morgen sieht die Welt schon anders aus usw. Wenn wir auf Gefühle achten, dann haben wir es geschafft, uns wirklich in andere hinein zu versetzen. Fachlich hieße das Empathie Fähigkeit.
Soweit die kleine Seelsorgekunde des Paulus. Aber er geht noch darüber hinaus. Seelsorge kann sich fortsetzen in einer Leibsorge, also dass wir dann auch etwas tun und jemand unterstützen und helfen. Das könnte sein, dass wir für jemand ein Formular ausfüllen oder etwas abholen oder einkaufen oder ihn einladen. So sind wohl auch jene Sätze des Paulus zu verstehen, wenn er schreibt: „Helft Gläubigen, die sich in einer Notlage befinden, lasst sie mit ihrer Not nicht allein. Macht es euch zur Aufgabe gastfreundlich zu sein.“
Diese ganzen Empfehlungen und Ermahnungen können uns freilich überfordern. Je mehr wir uns da reinhängen und engagieren, kostet das Kräfte. Und außerdem sind wir manchmal selber diejenigen, die Seelsorge brauchen und hilfsbedürftig wären. Manchmal ist unser Kopf auch nicht frei genug für andere Menschen und werden wir ihnen dann nicht gerecht. Deshalb ist es gut im Glauben eine Grund und Halt zu haben, daraus Kraft zu schöpfen und eine spirituelle Praxis zu pflegen. So schreibt Paulus eben auch: „Dient dem Herrn. Freut euch über die Hoffnung, die ihr habt. Lasst euch durch nichts vom Gebet abbringen.“ Paulus weiß, dass wir nur mithilfe des Geistes Gottes auch schaffen, dass wir richtig mit anderen umgehen.